Ich und die anderen Themen





Text:
Petra Bäumer   
Bild:
Antonio Jiménez Alonso (Bearbeitung: Neue Gegenwart)



Glaubt man dem Fernsehen, dann gibt es nur eine Sorte Journalist: Jene mit dem Finger in der Wunde, der Nase Richtung Zeitgeist und mit permanenter Gänsehaut von ihrem Gespür für Themen.

So gesehen ist es verständlich, dass viele Journalisten-Ratgeber das Kapitel Themenfindung überspringen: Liegt dies nicht ohnehin jedem Journalisten im Blut? Walther von LaRoche jedoch fängt in seiner „Einführung in den praktischen Journalismus“ ganz vorne an und beschreibt den Drei-Schritt der journalistischen Arbeit: Ideen finden, recherchieren, schreiben.

Die Idee finden – „Das kann auch auf der Treppe passieren“ heißt es bei ihm. Man müsse nur richtig hinhören. Selbst wer dies nicht tut, hört den Allgemeinplatz, der nach wie vor am lautesten durch die Redaktions-Gänge hallt: „Die Themen liegen doch auf der Straße!“ Bei LaRoche und anderen sind darüber hinaus jedoch durchaus Tipps zu finden, die systematisches Vorgehen erfordern. Beispielsweise die Frequentierung von Kontakten und Informanten. Hiermit sind nicht nur Whistleblower in der Regierung gemeint, sondern auch Leser, Zuschauer oder Hörer. Dieses Vorgehen praktiziert das Bild-Lesertelefon, wenn an seinem Hörer Bild-Praktikanten auf eine Story hoffen. Eine weitere Quelle sind andere Medien, unter anderem Fachmedien, in deren Randnotizen sich manchmal Spannendes versteckt.

Die beste Themenidee bleibt aber jene, die einen Nerv in der Gesellschaft trifft. Um ein Trendsurfer zu werden, helfen tatsächlich Statistiken genauso wie die persönliche  – nicht immer valide  – Erfahrung. Auf diese Weise wurde auch die „Generation Praktikum“ als Thema losgetreten und zog einen  Rattenschwanz an Folgebeiträgen nach sich. Die weiteren Wege zum „Thema X“ sind bekannt: Pressemitteilungen, Veranstaltungen, nicht zuletzt Agenturmeldungen, deren globale oder nationale Themen im besten Fall auf den eigenen Radius runtergebrochen werden. Welcher Journalist ist noch nie in die Verlegenheit gekommen, auf Veranstaltungskalender, die Terminübersicht der Deutschen Welle oder die Möglichkeiten von Wikipedia zurückzugreifen? Manchmal sucht man hier nur, um dem Unvermeidlichen auszuweichen, den ganz eigenen Muss-Themen jedes Mediums: Landtagswahlen, Rosenmontagsumzüge, Drei-Wochen-Sixpacks, Fett-weg-Diäten oder Oscar-Verleihungen.

Ob von der Straße oder aus dem Bundeskanzleramt, alle Themen müssen zuerst eine Hürde schaffen. Am Ende entscheidet natürlich die Zielgruppe, indem sie ihre Gunst zu- oder aberkennt. Was aber der Leser will, entscheidet mitunter der Chefredakteur  –  oder gar der Verleger selbst. Täglich jedoch entscheidet die Redaktion – die Redaktionskonferenz. Hier werden Themen geplant, Ideen vorgeschlagen, besprochen, angeregt, verändert, rausgekickt oder in der Blattkritik erschienene Artikel gelobt oder getadelt. Daraus resultieren Potenziale: Aus halbgaren Ideen werden gemeinsam neue, bessere Themen gemacht. Insofern bestätigt eine Studie der Universität Leipzig die Konferenz als wichtiges Instrument des Redaktionsmanagements. Genauso wie als entscheidende Sozialinstanz.

Wie immer wenn es um Menschen geht, entsteht ein komplexes soziales Gebilde, funktioniert die Redaktion als organisiertes soziales System. Damit gewinnt nicht nur ein Thema, sondern auch dessen Präsentation und die Person dahinter. Weil nicht jeder Nachrichtenwert so eindeutig akzeptiert wird –  wie vielleicht die Hochzeit von Nicolas Sarkozy und Carla Bruni – heißt es, Überzeugungsarbeit leisten.
 


 



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usgabe 54
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Während freie Journalisten zwingend wissen, wie sie ihre Idee verkaufen müssen, bleibt es für andere ein noch unentdecktes Thema: Präsentation. „Alles wurde uns beigebracht. Das allerdings nicht.“, sagt Julia Bähr, Absolventin der Deutschen Journalistenschule. In ihrer Abschlussarbeit „Meinungsmache unter Meinungsmachern“ hat sie sich mit den zwischenmenschlichen Faktoren in der Themenplanung auseinandergesetzt.

In einer qualitativen Befragung mit 14 Redakteuren und Volontären unterschiedlicher Ressorts regionaler und überregionaler Tageszeitungen untersuchte sie dabei vor allem die Prozesse in der Redaktionskonferenz. Im Gegensatz zu vorherigen Studien, die sich größtenteils auf den Einfluss des Verlegers bezogen, ging es ihr um die Gruppendynamik unter Gleichgestellten.

„Aufgrund der qualitativen Methode handelt es sich nicht um repräsentative Zahlen, sondern es gibt ein Stimmungsbild wieder“, beschreibt Bähr ihre Ergebnisse. Neue Gegenwart hat mit ihr gesprochen.

Neue Gegenwart: Apropos Themenfindung: Wie sind Sie auf die Idee gekommen, den Einfluss der Kollegen auf die Themenfindung unter die Lupe zu nehmen?

Julia Bähr: Während meiner Hospitanzen habe ich Konferenzen erlebt, die mich an der Objektivität der Nachrichtenauswahl zweifeln ließen. Manchmal lief alles sehr offen ab, aber manchmal hatte ich auch den Eindruck, es gibt Redaktionsprügelknaben, die keinen Fuß auf den Boden bekommen – obwohl ihre Themen nicht schlechter waren. Es hat mich daher sehr interessiert, ob sich mein Eindruck mit dem von anderen Journalisten deckt. Meine Vermutung war, dass manchmal mehr zwischenmenschliche als fachliche Faktoren bei der Themenplanung entscheiden.

Neue Gegenwart: Inwiefern ist das Konzept der Redaktionskonferenz schwierig?

Julia Bähr: Das Hauptproblem der Konferenz besteht eigentlich darin, dass die meisten Journalisten zu allem eine Meinung haben – und sie gerne äußern. Dabei entsteht häufig eine Diskussion, bei der die Profiliertesten und Eloquentesten gewinnen. Die Alphatiere eben. Teilweise ist aber auch nach der Diskussion nichts klar, dann entscheidet der Chef alleine. Ungefähr die Hälfte der Befragten beschrieben eine weitgehend demokratische Entscheidungsfindung – bei den anderen wirkt der Chef als letzte Instanz.

Neue Gegenwart: Was genau ist problematisch daran, wenn der Lauteste in der Runde sein Thema durchbringt?

Julia Bähr: Es verändert die Zeitung. Unter Umständen kommt nicht das beste Thema durch, sondern das des besten Verkäufers. Der perfekte Themensetzer ist durchsetzungsfähig, kompetent, trägt sein Thema überzeugend und eloquent vor. Er hat durch seine Erfahrung Respekt erworben, ist beliebt und fleißig. Ein Gespür für den richtigen Zeitpunkt und etwas Witz sind ebenfalls positive Faktoren. Im Moment der Redaktionskonferenz stimmen ihm also alle zu. Erst im Nachhinein verfliegt die Blenderfunktion und es zeigt sich, was das Thema taugt. So beschrieben beispielsweise zwei Redakteure einer Zeitung den Fall eines Kollegen, der stets seine Themen durchsetzte – am nächsten Tag wunderte man sich jedoch, was diese im Blatt zu suchen hatten. So etwas ist ungerecht gegenüber den Kollegen, die sich nicht gut verkaufen können und gegenüber den Lesern, die einen suboptimalen Artikel vorgesetzt bekommen, weil der Redakteur hausintern ein Performancewunder ist.

Neue Gegenwart: Inwieweit wird damit Druck in der Konferenz ausgeübt? Wird zum Beispiel schnell unsachlich oder unstrukturiert diskutiert?

Julia Bähr: Es gibt durchaus unterschiedliche Kulturen. Wer in einer Konferenz einen Themenvorschlag äußert, kann auf drei Arten von Reaktionen stoßen: Interessierte Nachfrage, Ignoranz oder Unmutsäußerungen. Die letzten beiden führen, wenn sie regelmäßig auftreten, zwangsläufig dazu, dass die Hemmschwelle steigt: Warum sollte ich etwas vorschlagen, wenn die Kollegen immer "schlechtes Thema" sagen, stöhnen oder die Augen verdrehen? Zudem wird auch  vor Killerphrasen nicht Halt gemacht: „Find ich langweilig“, „Passt nicht ins Blatt“ usw.

Neue Gegenwart: Ist das lediglich der Machtkampf unter Kollegen? Was ist der Grund für dieses Abschmettern?

Julia Bähr: Häufig ist es schlicht eine Geschmacksfrage. Ein Kollege denkt, etwas passe in seine Zeitung, andere sind vom Gegenteil überzeugt. Natürlich ist eine Konferenz auch eine gute Gelegenheit sich zu profilieren und in der Hackordnung aufzusteigen. Zudem lässt sich der ausgeprägte kritische Geist des Journalisten bei dieser Gelegenheit hervorragend präsentieren.

Neue Gegenwart: Was ist die Folge?

Julia Bähr: Die Redakteure fühlen sich zurückgesetzt. Das kann dazu führen, dass sie immer verzagter werden und beim nächsten Mal stotternd, unsicher und defensiv ihren Vorschlag vortragen – was ihre Chancen zusätzlich mindert. Auch von persönlichen Angriffen haben viele Befragte erzählt: Die Diskussion wird unsachlich, man unterstellt dem Kollegen Faulheit oder fehlende Sachkenntnis. „Ich bin auf der Verliererseite – also bin ich still“ lautet eine der Reaktionen. Von den Befragten gab zwar keiner an, entgegen seiner eigenen Meinung zu stimmen - aber einige schweigen, wenn sie sich in der Minderheit fühlen. Manche glauben, durch eine Äußerung nichts bewegen zu können. Einer gab an, er wolle nicht für unkollegial gehalten werden. Anderen ist es schlicht gleichgültig, schließlich ist die Zeitung übermorgen schon wieder uralt.

Neue Gegenwart: Gibt es denn für jene, die keine Präsentationskünstler sind, Wege ihre Themen durchzuboxen?

Julia Bähr: Das vorherige Schaffen von social support ist sicher die wichtigste Taktik: Sich beim Zimmerkollegen vorab Unterstützung zu sichern, damit man in der Konferenz einen Fürsprecher hat. Andere nehmen direkt Kontakt mit dem Ressortleiter auf – da dessen Urteil weniger gefürchtet wird als der geballte Unmut der Kollegen. Oder es wird damit argumentiert, was man in letzter Zeit schon alles nicht machen durfte. Auch das Drehen des Themas in eine bestimmte Richtung ist beliebt, ebenso die Hinzuerfindung von spannenden Details. Viele schauen auch erst, wie die Stimmung gerade ist und warten dann auf einen günstigeren Zeitpunkt. Eine Befragte erzählte, es gebe sogar Kollegen, die einfach gar nicht mehr in die Konferenz kämen. Auch ein effektives Mittel.

Neue Gegenwart: Trotzdem bleibt die Konferenz an sich ein anerkanntes Instrument: Gibt es überhaupt Alternativen?

Julia Bähr: Eine Frage in meiner Untersuchung lautete: "Stellen Sie sich vor, die Themen würden nicht in der Gruppe diskutiert, sondern eingereicht und in einer geheimen Abstimmung entschieden. Sähe die Zeitung dann anders aus?" Von den 14 Befragten sagten drei "Nein". Drei waren sich unsicher. Die anderen erwarteten bessere Chancen für andere Themen. Eine faire Alternative wäre es tatsächlich, schriftlich anonyme Vorschläge einzureichen, über die diskutiert wird. Die unpopulären Themen hätten dann zwar weiterhin Probleme, aber es hinge nicht mehr an der Person des vorschlagenden Redakteurs. Den Aufwand dieser Methode möchte ich mir allerdings nicht ausmalen. Für Tageszeitungen ist sie sicher ungeeignet.

Zur Person




Julia Bähr

Geboren 1982 in Heidelberg, ist Absolventin der Deutschen Journalistenschule. Sie lebt als freie Journalistin in München. Für die Feuilletons von FAZ und Abendzeitung schreibt sie über Literatur und Pop, für die NEON über alles andere. Ihre Studie wird im Tectum-Verlag erscheinen.