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Afrika ist kein Land

Welche Nachrichten erreichen uns vom schwarzen Nachbarn?
Text: Frank Windeck   Bild: Jacqueline Fouche (o.), Bearbeitung: Neue Gegenwart
 

 

Wenn wir eine Liste von Wörtern zusammenstellen würden, die ein bestimmtes Land beschreiben sollte, dann ist sehr wahrscheinlich, dass bereits nach wenigen Begriffen klar ist, um welches Land es sich wohl handeln mag. Ein Beispiel:

Elefanten, Gold, Urlaub, schwarze Haut, Kriminalität, Tafelberg, Apartheid. Genau! Südafrika.

Wir alle haben unsere Bilder im Kopf von bestimmten Ländern und deren Realität. Selbst, wenn wir noch nie dort waren. Doch woher stammen diese Bilder und Eindrücke? Zum einen sicherlich von Freunden oder Angehörigen, die schon einmal dort waren. Im Falle von Südafrika ist es sehr wahrscheinlich, dass wir jemanden kennen, denn pro Jahr reisen einige 10.000 Deutsche ins Land am Kap.

Natürlich könnte man auch einmal ein Buch lesen, dass sich mit der Heimat Nelson Mandelas beschäftigt. Viel mehr Einfluss aber haben die elektronischen Massenmedien auf unser Bild, denn sie zeigen aufgrund der Einschaltquoten recht großen Teilen der Bevölkerung, möglicherweise bisher eher desinteressiert am Thema, den Weg zum Tafelberg. Da haben wir Karl Moik, der mit seinem Musikantenstadl, reitend auf eben jener Tourismuswelle, die wunderbare Welt der Buren aufmischt. Oder es wird eine Bochumer Tierärztin geschickt, die in einer ZDF-Schmonzette in den fernen Süden entsandt wird, um in einer Miniausgabe des Krügerparks Babylöwen abzuholen und sich dabei Hals über Kopf verliebt, natürlich nicht nur ins Land, sondern auch in den lokalen Wildhüter. Ist ja klar.




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Schwieriger wird es im Falle von Ländern, die weder diesen Tourismus aufzuweisen haben, noch sich als Projektionsfläche romantisch verklärter Fernsehproduktionen eignen. Malawi ist so ein Fall. Malawi schafft es aber dennoch in unsere Köpfe. Denn mit den Begriffen Madonna und Adoption können wir seit einiger Zeit auch im Falle Malawis eine Pseudodefinition vornehmen. Doch nur weil Frau Ritchie Probleme nach der Adoption eines malawischen Kindes hatte, ist unser Wissen nicht geschärft. Die meisten dürften deshalb immer noch im Dunkeln tappen, wo genau Malawi eigentlich liegt.  

Also wenden wir uns besser den wirklichen Fakten zu. Oder versuchen es zumindest. Schließlich gibt es dafür ja die journalistische Allzweckwaffe, die Korrespondenten. Alle deutschen Mediengattungen sind in Südafrika vertreten und berichten von hier. Nicht nur vom Land selbst, denn Südafrika bietet ideale Voraussetzungen für die regionalen Büros der Medienhäuser.

Da sind sie nun, die Frauen und Männer, die auszogen, die Wirklichkeit ihrer Gastländer in deutsche Wohnstuben zu bringen und dem daheimgebliebenen Mitbürger das Geschehen hinter Afrikas grünen Hügeln zu erklären. Wie absurd dieses Konzept tatsächlich jedoch ist, sollten uns eigentlich die Erkenntnisse der Kriminalistik gelehrt haben. Unsicherheit kommt bei der Verbrechensbekämpfung nämlich immer dann auf, wenn der menschliche Faktor ins Spiel kommt, es um Zeugenaussagen geht. Jeder hat etwas anderes gesehen. Der Mann, der die Unfallflucht begangen hat, war blond, nein glatzköpfig oder war es doch eine Frau? Egal. Jedenfalls war es ein BMW, nein Audi, jetzt haben wir es: ein Mercedes. Richtig?

Lassen Sie uns eines klarstellen: Dies ist keine Kollegenschelte. Im Gegenteil. Die Arbeit in Afrika ist eine logistische Herausforderung, allein schon wegen der Entfernungen. Dazu kommen die vielen Länder mit Ihren dutzenden Sprachen, Südafrika alleine hat schon elf Landessprachen. Damit nicht genug, müssen die Berichterstatter die verschiedenen Kulturen und Stammesgeschichten berücksichtigen, über die sich unterschiedliche koloniale Vergangenheiten und die jeweils anschließenden Befreiungsbewegungen stülpen, hier Apartheid, dort Diktaturen. Auf der einen Seite der Grenze hat man Erfahrung mit dem Sozialismus, auf der anderen mit dem Kapitalismus. Oft auch mit beidem.  

Zurück zur Realität, oder dem, was wir dafür halten. Wir erwarten nun von den Abgesandten der Informationsgesellschaft, dass sie in diesem afrikanischen Wust, von dem auch an dieser Stelle nur ein Ausschnitt dargeboten wurde, tatsächlich in der Lage sind, die Realität in vollem Umfang zu erkennen und eben diese Realität für uns abzubilden. Die einzig wahre Aussage kann in diesem Zusammenhang nur lauten, dass es  Realität nicht gibt, nicht geben kann. Jedenfalls nicht die, in der in 90 TV-Sekunden die Lebenswirklichkeit eines ganzen Landes erklärt wird. Nicht etwa, weil die Kollegen nicht seriös arbeiten würden, oder gar falsche Eindrücke vermitteln wollten. Es geht schlichtweg nicht. Die Zeit ist zu kurz, der Platz zu begrenzt und darüber hinaus können sich einzelne, kleine Teams nur einen ungefähren Überblick verschaffen, denn sie können nicht überall sein. Trotz zuarbeitender Stringer.

Realität ist außerdem mehr als die Summe von Erfahrungen, die ein Mensch in einem Land machen kann. Selbst wenn er professioneller Informationssammler sein mag, denn die Leistungsfähigkeit des menschlichen Gehirns ist endlich. Nicht nur physisch sondern auch psychisch. Auch Korrespondenten haben Vorurteile, Vorlieben und Begrenzungen. Es sind keine Übermenschen, sondern in der Regel mit europäischen Denkmustern vorbelastete Männer und Frauen, denen sich die afrikanische Lebens- und Handlungsweise eben aus diesem Grunde einfach nur bis zu einem gewissen Grad erschließen kann und daher auch immer das Objekt von Missinterpretationen bleiben wird. Dazu kommt die oben bereits ausgeführte Reizüberflutung, gekoppelt mit einer automatisch eingebauten Überforderung. Da wundert es wenig, wenn im Arbeitsalltag das Bekannte, erfolgreich Erprobte, den Vorrang erhält.   

Ein Beispiel aus Südafrika: In den Redaktionsstuben der Mutterhäuser gehen immer wieder Meldungen aus Kapstadt, Pretoria und Johannesburg ein. Für die, die aufmerksam hinhören, wiederholen sich diese Namen, wenn es um Südafrika geht. Die Wenigsten in Deutschland haben aber jemals von der Provinz Eastern Cape gehört. Und das, obwohl hier viel passiert. Es ist die Provinz, in der der im ganzen Land unangefochten herrschende African National Congress (ANC) seine absolute Hochburg hat. Aus dieser Provinz stammen fast alle wichtigen ANC-Führer von Mandela bis Mbeki. Hier werden milliardenteure Strukturprogramme des Staates geplant, durchgeführt und grandios in den Küstensand gesetzt. Mandelas verarmter Bruder, ebenso alt geworden wie sein berühmter Verwandter, lebt hier immer noch. Deutsche Firmen wie Mercedes und VW haben ihre Produktionsstätten vor Ort. Die Büros vieler Korrespondenten sind kaum eine Flugstunde entfernt, die Geschichten liegen auf der Straße und trotzdem hören wir nie von hier.

Die Gründe sind vielfältig und wie immer in Afrika ist die Erklärung schwierig. Da sind zum einen die Korrespondenten selbst. Sie sind oft an ihre Büros gebunden, von wo aus sie die eingehenden Informationen filtern und weiter verarbeiten. Vor Ort ist man nur, wenn wirklich etwas los ist. Für Abseitiges hat man erst recht keine Zeit, denn meistens kommen diese Geschichten in der Heimatredaktion sowieso nicht gut an.  

Zu Hause muss nicht zwingend ein auslandserfahrener Kollege die Zügel in der Hand halten. Er wird auch eher dazu neigen, nach der großen Geschichte zur Fußball-WM zu fragen, auch wenn die schon so oder so ähnlich woanders gelaufen ist. Möglicherweise hat er aber auch ein Faible für Autokraten, am besten mit Heimatbezug, also ran an die neuesten verbalen Entgleisungen gegen Kanzlerin Angela Merkel, begangen von Robert Mugabe. Solche Stücke verkaufen sich in jedem Falle besser, als die Geschichte über Eastern Cape, die damit definitiv tot ist.

Nun sind Medienhäuser, das wird gerne vergessen, auch und vor allem Wirtschaftsunternehmen. Verkauft sich eine Geschichte gut, trägt das zum Wert der Ausgabe bei. Insofern kann man dem zuständigen Redakteur keinen Vorwurf machen. Prominenz verkauft sich eben gut, der Kunde bekommt, wonach er verlangt. Auftrag ausgeführt. Wenn dabei das Bild von Afrika wieder mal ein Stückchen schiefer rutscht, dann ist das eben so, gewisse Kollateralschäden der Informationsgesellschaft scheinen eben unvermeidbar zu sein.

Weiterhin spielt natürlich die Entfernung eine große Rolle. Ein Grubenunglück mit zwei verletzten Bergarbeitern in einer Ruhrgebietszeche ist eine Story, im Falle von Südafrika müssen da schon zweistellige Verluste an Menschenleben zu vermelden sein, sonst ruft das in deutschen Redaktionsstuben nur ein müdes Achselzucken hervor. Und selbst dann ist nicht gesichert, dass die Geschichte bis zum Andruck überlebt. Denn der Zeitpunkt spielt eine entscheidende Rolle. Fegt nämlich gleichzeitig ein Tsunami Asiens Strände leer, dann sind Afrikas Bergarbeiter nur noch Kleinvieh. Erreicht die Meldung vom Unfall den Korrespondenten nach dem deutschen Redaktionsschluss, dann sieht es bereits schlecht aus, denn bis Morgen kann noch eine ganze Menge passieren.

Die wichtigste und gleichzeitig perverseste aller journalistischen Grundregeln aber hat den größten und negativsten Einfluss auf unser Bild des afrikanischen Kontinents. Der Logik folgend, dass nur eine schlechte Nachricht eine gute Nachricht ist, wurde Afrika in den vergangenen Jahrzehnten zum Kontinent der Katastrophen, Bürgerkriege, Hungersnöte und Epidemien. Eine Schreckensmeldung jagt die Nächste. Die Negativmeldungen bügeln alles andere nieder und führen nicht nur zu einem völlig falschen Bild, sondern verzerren so weit, dass Afrika in Europa nicht mehr als Kontinent mit 53 völlig unterschiedlichen Ländern wahrgenommen wird, sondern als ein einziges, zusammenhängendes Land voller Elend. Ein fataler Irrtum, hervorgerufen durch unverschuldete Unkenntnis auf Seiten der Mediennutzer einerseits und unvermeidbarer Realitätsferne der Medien andererseits.

Nun könnten wir eine Hitliste der vernachlässigten Themen aufstellen, wie dies die Initiative Nachrichtenaufklärung in Deutschland tut. Dies aber wird den afrikanischen Realitäten wieder nicht gerecht, denn auch dies kann wieder nur ein kleiner Ausschnitt sein. Wichtiger erscheint in diesem Zusammenhang, die Frage nach wirklicher Abhilfe zu stellen. Und da gibt es tatsächlich nur einen Ausweg aus dem Dilemma.

Die Antwort geben die Neuen Medien. Deren Entwicklung schreitet auch in Afrika mit großen Schritten voran und ermöglicht neue Formen der Informationsbeschaffung. Internet, digitale Kameras und vor allem das Handy sind Medien, die auch aus den afrikanischen Ländern nicht mehr wegzudenken sind. Vor allem die Handyzahlen wachsen rasant. Auch in den kleinsten Orten, in den ärmsten Landstrichen, finden sich Mobiltelefone. Das eröffnet zunächst für die Korrespondenten vor Ort ganz neue Möglichkeiten, da die ihnen zuarbeitenden Stringer unmittelbar Kontakt aufnehmen und berichten können.

Aber auch für den Mediennutzer daheim hat dies Vorteile. Immer mehr afrikanische Internetseiten gehen an den Start. Immer mehr Blogs werden geschrieben, immer mehr digitale Fotos oder auch Videos eingestellt. Für den proaktiven europäischen Mediennutzer ist dies eine Fundgrube an Informationen, die nicht überschätzt werden kann. Wer nun noch die klassischen Medien hinzuzieht, kann sich über viele Themen informieren, die bisher einfach nicht abgedeckt wurden. Dass dieser aktive Ansatz nur für bestimmte Nutzer in Frage kommt, weil der Mensch grundsätzlich träge und unsere Zeit begrenzt ist, versteht sich von selbst. Dennoch verlangt eine komplexe Welt von den Medienkonsumenten auch zunehmend eine komplexe Mediennutzung, soll sie in in ihrer Ganzheit verstanden werden. Wie bedeutsam übrigens die Neuen Medien auch für die Afrikaner selbst geworden sind, zeigt die jährlich im südafrikanischen Grahamstown stattfindende „Highway Africa“-Konferenz, zu der regelmäßig über 500 Journalisten vom ganzen Kontinent anreisen.


Nun neigen manche deutsche Redakteure wieder zu einem Schnellschuss und meinen, man könne jetzt ja die Korrespondenten einsparen, schließlich gäbe es ja online alle nötigen Informationen. Dies aber ist der komplett falsche Ansatz. Bei aller Begrenzung der Korrespondenten ist eines ganz klar: Ohne den kritisch-filternden Blick der Journalisten, die vor Ort beurteilen, ob das, was Blogger oder Forenbesucher täglich veröffentlichen, ernstzunehmende Informationen sind oder eben nicht, werden die positiven Aspekte der Neuen Medien bald von den Negativen überlagert und die afrikanische Realität wird in Europa vollends zu einem medialen Zerrbild verkommen.

Der Autor




Frank Windeck

Geboren 1966 in Bonn, leitet seit zwei Jahren das Medienprogramm der Konrad-Adenauer-Stiftung für Sub-Sahara-Afrika mit Sitz in Johannesburg, Südafrika. Studierte Geschichte, Politikwissenschaften und Geographie in Bonn und Köln. Seit 1987 für Presse, Rundfunk und Fernsehen in verschiedenen Positionen tätig. Schwerpunkte dabei: Magazinjournalismus und TV-Produktionsmanagement. 2001 wechselte er zur Konrad-Adenauer-Stiftung, dort zunächst in die Journalisten-Akademie und anschließend als Auslands-mitarbeiter nach Johannesburg.

f.windeck (at) kas.org.za