„Wer nicht erreichbar ist,
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Interview:
Björn Brückerhoff    Bild: Trendbüro

Die Möglichkeiten der mobilen Kommunikation nehmen rasant zu. Dadurch können sich Menschen immer besser organisieren. Im Internet vernetzen sich User auf Business-Plattformen, werden Waren und Dienstleistungen online bestellt, Unternehmen bewertet und Erfahrungen ausgetauscht. Die Menschen organisieren sich, ohne sich jemals persönlich begegnet zu sein.

Die neuen Möglichkeiten dieser vernetzten Kommunikation haben Auswirkungen auch außerhalb der virtuellen Gemeinschaften, in denen die Vernetzung schon lange Alltag ist. Durch mobile Kommunikationsgeräte zeigte sich bereits spielerisch,
was Howard Rheingold als "Flash Mobs" bezeichnet: Menschen erhalten über ihre mobilen Kommunikationsgeräte Ort und Zeit mitgeteilt, man trifft sich, absolviert eine vorher mitgeteilte Aktion und verschwindet wieder in alle Himmelsrichtungen. Flash Mobs sind in der Regel sinnlos: so trafen sich in Deutschland Flash Mobber vor dem Kölner Dom, stimmten die Internationale an und gingen wieder ihrer Wege.

Das Flash Mob-Phänomen kann natürlich auch für andere Ziele verwendet werden, die nicht immer so harmlos sind. So können sich
Demonstranten in nie erreichter Geschwindigkeit formieren, um sich ebenso schnell wieder aufzulösen, wenn ein Teilnehmer vor der anrückenden Polizei warnt. Die Smart Mobber bilden Schwärme und profitieren vom Wissen aller Beteiligten.

Obwohl diese Zweckgemeinschaften überall gebildet werden, ist der Wunsch nach Individualität stärker als je zuvor. Die eigene Persönlichkeit findet Ausdruck in allen möglichen Details: von der farbigen Handyschale bis zur unendlichen Auswahl des Autolacks. Natürlich stets im Rahmen des technisch Machbaren.

Wie gehen diese Entwicklungen weiter? Die Alten der Zukunft, die diese einschneidenden sozialen Veränderungen miterleben könnten, sind längst auf der Welt. Wie werden sie damit umgehen? Und was wird aus denen, die nicht mithalten können?

Die Gegenwart hat mit dem Gründer des Hamburger Trendbüros, Professor Peter Wippermann, über die Verjüngung der Alten, die Renaissance klassischer Werte und über die Folgen der Schwarmbildung gesprochen.

Die Gegenwart: Herr Professor Wippermann, vor 30 Jahren war man mit 60 Jahren „alt“ im klassischen Sinne. Heute fühlen sich viele 60-Jährige eher wie Ende 40. Auf welche Faktoren – neben dem medizinischen Fortschritt – führen Sie diese Entwicklung vor allem zurück und wie wird sich dieser Trend fortsetzen?

Professor Peter Wippermann: Diese Entwicklung lässt sich seit 1880 beobachten, statistisch werden wir jedes Jahr um drei Jahre älter. Es scheint einen Zusammenhang von Lebenserwartung und der Organisation von Arbeit zu geben. Mit der beginnenden Industrialisierung haben sich die Arbeitsbedingungen für große Teile der Bevölkerung verbessert. Die Arbeit auf dem Land war härter. Die Sozialgesetzgebungen, Anfang des 20. Jahrhunderts eingeführt, schützte vor körperlicher Ausbeutung. Freizeit, Krankheit- und Altersruhezeit wurde für alle gesetzlich eingeführt. Damals lag die durchschnittliche Lebenserwartung noch bei 45 Jahren, Rentenansprüche gab es übrigens erst ab 75 Jahren. Heute liegt die Lebenserwartung bei 85 Jahren und das offizielle Rentenalter bei 65 Jahren. Das dieses Modell nicht für die Zukunft tragfähig sein wird, kann man auch erkennen, wenn man kein Rentenfachmann ist.   

AUSGABE 44
DIE NEUEN JUNGEN ALTEN





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EDITORIAL VON BJÖRN BRÜCKERHOFF
INTERVIEW MIT PROF. PETER WIPPERMANN
DIE NEUEN ALTEN
ZWEITER FRÜHLING.COM
NEUE ZEITRECHNUNG
DIE HEIMLICHE ZIELGRUPPE
WELCHE FARBE HAT DAS ALTER?
DÜRFEN SIE SCHON/MÜSSEN SIE NOCH?
SEXY GREISE UND WEISE DAMEN
GLEICHZEITIG ALT UND JUNG
GESCHICHTE DES ALTERS IN DER ANTIKE

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Vor 30 Jahren begann die Automatisierung der Produktion, die Industrialisierung erreichte den Höhepunkt ihrer Entwicklung, die Arbeit in den Fabriken wurde körperlich leichter. Mit dem Einzug der Computer übernahmen rechnergesteuerte Prozesse die Herstellung, die Rationali-sierungswelle in den Betrieben beschleunigte sich zum Ende des 20. Jahrhundert. 1960 haben noch 50 Prozent aller Arbeitnehmer für physische Arbeit ihr Gehalt bekommen, heute sind es noch 35 Prozent und 2020 rechnet man mit 15 Prozent. Die körperliche Belastung durch Arbeit im klassischen Sinne ist ein verschwindendes Phänomen, gearbeitet wird künftig mit dem Kopf.

 

Professor Peter Wippermann
Jahrgang 1949, arbeitete zunächst als Art Director beim Rowohlt-Verlag und beim Zeit-Magazin. 1988 gründete er gemeinsam mit Jürgen Kaffer das Büro Hamburg, heute eine der renommiertesten Grafik-Agenturen Deutschlands. 1990 konzipierte er für Philip Morris die Zukunftsevents „Talk with Tomorrow" und war verantwortlicher Herausgeber des Zukunftsmagazins „Übermorgen". 1992 gründete er das Trendbüro, Beratungsunternehmen für gesellschaftlichen Wandel. 1993 wurde er von der Universität Essen (heute Duisburg-Essen) zum Professor für Kommunikationsdesign berufen. 2002 war er Mitgründer der LeadAcademy für Mediendesign und Medienmarketing. Peter Wippermann wohnt in Hamburg, ist verheiratet und hat eine Tochter.

Die Medien- oder Wissensgesellschaft, die mit der Verbreitung des World Wide Webs vor etwa zwölf Jahren begann, schafft neue Lebenshorizonte. Wir werden länger leben als jemals Menschen zuvor, aber wir müssen uns erst noch daran gewöhnen, dass wir länger alt als jung sein werden. Uns fällt es ja noch schwer, uns vom klassische Modell der drei Lebensphasen zu verabschieden. Jugend und Ausbildung, Erwachsensein und Arbeiten sowie Alter und sorgenfreier Ruhestand, so wünschen wir uns noch immer die kollektive Lebensplanung,  sie war mit den Idealen der Industriegesellschaft entstanden und wird mit ihr untergehen. Unter den Netzwerkbedingungen der Mediengesellschaft werden individuelle und dynamische Lebenskonzepte erfolgreich sein, die eine längere Lebenszeit aktiv gestalten.

Die Gegenwart: Medien tragen zur Individualisierung und Beschleunigung der Gesellschaft bei. Produktlebenszyklen werden kürzer, die Personalisierungsmöglichkeiten immer vielfältiger. Der Konsument erhält neue Möglichkeiten, seiner Individualität Ausdruck zu verleihen. Gleichzeitig werden Menschen mit zunehmendem Alter nicht unbedingt entscheidungsfreudiger. Heutige technische und soziale Entwicklungen sind die Grundlage für dieses Szenario. Wie lernen die Alten von morgen, den zukünftigen Voraussetzungen erfolgreich begegnen zu können?

Wippermann: Die Anpassungsträgheit an eine veränderte Umwelt ist tatsächlich ein großes Problem. Noch heute, drei Jahre nach der Währungsumstellung, rechnet die Mehrheit aller Deutschen den gültigen Euro in die ungültige Mark um. So versuchen sie, eine eigene Vorstellung vom Wert der Angebote zu bekommen. Das ist reine Illusion, denn keiner kann sich an die Preise nach über drei Jahren noch erinnern. Bei den über 60-Jährigen sind es noch 89 von 100 Konsumenten, die keine Wertvorstellung  von den aktuellen Währung haben. Wenn wir bedenken, dass diese Bürger in zwölf Jahren die größte Gruppe in der Bevölkerung stellt, dann sind die kommenden Probleme bekannt.
Trotzdem braucht man nicht zu pessimistisch sein. Die Verbreitung der Mobiltelefone lässt erkennen, dass die älteren Nachzügler mit zunehmender Verbreitung neuer Technologien sich beschleunigt anpassen. Heute nutzen die 60-Jährigen die Handys wie die Zehnjährigen. Was sich unterscheidet, ist der kulturelle Umgang mit der Technologie. Während sich die Jungen von ihrem sozialen Umfeld ausgeschlossen fühlen, wenn man ihnen das Handy wegnehmen würde, vermissen die Älteren nur die Bequemlichkeit des Telefonierens.
Die Anbieter von zukünftigen technologischen Angeboten haben längst erkannt, dass im Silver Market der Neuen Alten das Geschäft der Zukunft liegt. Schon heute weist die GFK-Statistik über den Absatz von Konsumentenelektronik einen deutlichen Zuwachs bei den älteren Konsumenten ab 50 Jahren aus, während alle anderen Alterseinheiten leicht zurück gingen. Die Neuen Alten stellen die größte und wohlhabendeste Gruppe der Käufer. Sie sind konsumfreudig. Aber sie leben ein gefühltes Alter, dass den amtlichen Geburtsschein korrigiert und um fünfzehn Jahre nachdatiert. Das müssen die Anbieter berücksichtigen.
Die Alten werden lernen sich anzupassen, wenn auch langsam. Die Herausforderung für die Anbieter wird sein, Geräte und Dienstleistungen so einfach zu gestalten, dass bei der Nutzung eine Dauerjugendlichkeit der gefühlte Nutzen sein wird. Die Produkte für den Silver Market  müssen jung aussehen und altersbedingte Schwächen automatisch kompensieren. Für alle lautet der Schlachtruf auf dem Silver Market “Nie wieder alt”.


Die Gegenwart: Viele jüngere Menschen besinnen sich heute wieder auf Moral und alte Tugenden. Wie passt das zur immer stärkeren Individualisierung der Gesellschaft? Werden diese Tugenden auch gelebt?

Wippermann: Moral und Tugend sind interessant geworden, da die traditionellen Institutionen ihre kollektiven Bindungskräfte verloren haben. Von der Familie, über die Religionen bis hin zu den Parteien und gesellschaftlichen Vereinigungen sind die Orientierungsrahmen zerfallen. Lebensabschnittsbeziehungen sind heute Realität. Statt lebenslange Treue zum Partner vor Gott und dem Staat zu schwören, halten 79 von 100 Deutschen Liebe ohne Trauschein für möglich. Die kontinuierlich steigenden Scheidungsraten belegen das. Die Zahl der unehelichen Kinder hat sich seit den siebziger Jahren verdreifacht. Die eigene Individualität wird stärker gelebt, als es zwischenmenschliche Beziehungen dauerhaft aushalten. Die Ideale aus der Arbeitswelt, Flexibilität, Dynamik und Effizienz, sind in das private Leben übernommen worden. Alles was gelebt wird, könnte noch besser sein. Vor diesem Hintergrund der persönlichen Steigerungslogik werden vergangene  Moralvorstellungen und Tugenden romantisch. Sie verlieren ihre disziplinarische dunkle Seite und werden idealisiert. Alles was verschwindet, bekommt einen ideellen neuen Wert. So sind Hochzeiten als Event im Ansehen gestiegen. Die besten Freunde, bei schönstem Wetter, vor einer richtigen Kirche auf einem Video, das hat seinen Reiz. Aber gleichzeitig ist der Wille zur Ehe deutlich gesunken. 
 
Die Gegenwart:
Suchen die Menschen in Moralvorstellungen Orientierung, die sie durch die Multioptionalität der Gesellschaft schon heute verlieren?

Wippermann: Die neue Moral der Netzwerkkinder ist von technischer Natur. Sie müssen Anschlussfähigkeit beweisen, sonst werden sie ausgeschlossen. Wer nicht erreichbar ist, hat schon verloren. Verbindlichkeiten sind wörtlich zu nehmen. Es geht um Verbindungen. Räumliche Nähe ist durch mediale Nähe ersetzt worden, das lernt man schon mit dem Babyphone. Man kann jederzeit nach Mama schreien. Erreichbarkeit ist der Inbegriff der Freiheit. Wir sind Hightech-Nomaden und müssen Fernanwesenheit leben, da wird die Nettigkeit zur selbst gesuchten Pflicht. Wer nicht antwortet, bekommt keine Email, kein SMS oder  noch schlimmer, keinen Anruf. Es wird nicht mehr ermahnt und Besserung gewährt. Unter Medienbedingungen heißt Moral “offen sein und antworten”. Mediales Kraulen ist der Lohn.

Die Gegenwart: „Entlernen“ sei eine Voraussetzung, um in Zukunft Routinen überdenken und sein Handeln veränderten gesellschaftlichen Bedingungen anpassen zu können. Das wird nicht jeder können. Wie werden die zukünftigen Alten des Jahres 2050 heute auf dieses flexible Denken vorbereitet?

Wippermann: „Entlernen“ widerspricht der persönlichen Erfahrung der Älteren. Bisher konnte man auf das Gelernte aufbauen. Mit zunehmenden Alter stieg die Lebensweisheit, jung lernte von alt. So war das damals. Jetzt müssen die Neuen Alten von den Jungen lernen. Das traditionelle Weiterlernen funktioniert in einem Strukturwandel nicht mehr. Die Basisinnovation der vernetzten Computer, das Internet, verändert alle Lebensbereiche. Kommunikation löst die Produktion in der Bedeutung der Wertschöpfung ab. Es geht nicht mehr um das Besitzen sondern um das Benutzen.
Die Wertschöpfung verlagert sich von den Industriemärkten zu den Wissensmärkten. Die Internet Suchmaschine “Google” macht das deutlich. Gewusst wo, wird zum Algorithmus und über 80 Prozent der deutschen Internetuser nutzen das amerikanische Angebot. Der Börsenwert der sieben Jahre alten Firma “Google”  übersteigt inzwischen die gemeinsamen Notierungen der Autokonzerne General Motors und Ford  - und das nach dem Platzen der Finanzblase der New Economy vor fünf Jahren. Hier Enden die Erfahrungen der Besitzer von Telefon-, Adress- und Branchenbuches. Wer “Entlernen” erfahren möchte, sollte “
Google Earth” besuchen. Hier kann man vom Weltraum über das Land, die Stadt zur gewünschten Strasse zu zoomen und erhält dann auch gleich Informationen von “Wikipedia,” doch das ist eine andere Geschichte. Mehr ist anders, auch beim lernen.     
 
Die Gegenwart: Stichwort Schwarm-Intelligenz: Die Menschen bilden themengebundene und zweckorientierte Schwärme, die einen persönlichen Kontakt praktisch unnötig machen. Sich in einer Partei oder einem Verein zu engagieren, verliert durch die Fixierung auf den Zweck an Bedeutung. Damit wird man zwar der Eigenverantwortlichkeit gerecht, persönliche Ziele lassen sich leichter erreichen oder gesellschaftliche Veränderungen schnell herbeiführen, doch die soziale Komponente wird beeinträchtigt. Wie kann dieser Individualisierung begegnet werden?

Wippermann: Warum sollten wir das? Individualisierung, Flexibilität und Effizienz sind Werte, die uns kollektiv faszinieren. Wir haben eine Technologie entwickelt, die soziale Nähe organisiert. Warum sollten wir diese neuen Möglichkeiten nicht erkunden und nutzen? Menschen sind widersprüchliche Wesen. Jeder möchte anders sein als die anderen, aber auf keinen Fall allein bleiben. Zwischen diesen Polen pendeln wir in unserem Alltag. Wenn das Internet die technische Revolution war, erleben wir jetzt eine soziale Evolution, die wir “Schwarm-Intelligenz” nennen. Durch die “Schwarm-Intelligenz” organisieren Programme unser soziales Verhalten, dynamisch, persönlich und erfolgreich. Smarte Mehrheiten entstehen, die individuelle Interessenlage entscheidet, mit wem ich verbunden werde. Das Netz verknüpft Gemeinschaften auf Zeit.
 
Die Gegenwart: Ältere Arbeitnehmer haben heute kaum noch eine Chance auf dem Arbeitsmarkt, die Rentenkassen sind leer, die Sozialsysteme überlastet. Gleichzeitig ist lebenslanges Lernen Voraussetzung für die Herausforderungen einer sich rasant verändernde Welt. Dafür jedoch benötigt man Zeit, Aufgeschlossenheit gegenüber Technologie und vor allem Geld. Wie sehen die Ansätze aus, die diese Kluft überwinden – oder wird die Gesellschaft noch deutlicher gespalten)?

Wippermann: Die Wohlfahrtsidee der Industriegesellschaft wollte den Mangel an Produkten überwinden. Das ist gelungen. Alle westlich orientierten Post-Industrienationen leiden nicht an der Unterernährung ihrer Bevölkerung, sondern an der Überernährung. Überproduktion und Verdrängungswettbewerbe haben globalen Maßstab angenommen. Die Produktionsstandorte in Deutschland haben Konkurrenz bekommen. Shanghai wurde zum Vorort von Berlin, die Arbeiter in Tschechien die besseren Wolfsburger Autobauer und die Deutsche Bank möchte keine deutsche Bank mehr sein.
Nach der Rationalisierung und teilweisen Auslagerung der Produktion, beginnt jetzt eine radikale Reorganisation in den Verwaltungen. Die Konsumenten übernehmen die Back Offices. Sie machen ihre Büroarbeit selbst, von zu Hause aus. Ob Online-Banking, das Buchen von Billig-Flugreisen oder das ver- und einkaufen bei Ebay, überall verschwindet die traditionelle Büroarbeit. Wenn man erinnert, das heute schon 18 Prozent der Pakete von DHL (Post) von Ebay-Kunden gepackt und versandt werden, dann weiß man, wie weit die Entwicklung vorangeschritten ist.
Die Funkmicrochips der RFID-Technologie werden in zehn Jahren 40 Prozent der traditionellen Büroarbeitsplätze überflüssig machen, da der Wertschöpfungsprozess automatisch von Kunden selbst gesteuert wird, so amerikanische Berechnungen.
Ein Zurück wird es für ältere Arbeitnehmer kaum geben, da der Leistungsdruck in den Unternehmen globalen Standards folgt. Doch das Erstaunliche wird sein, dass wir eine Do-It-Yourself-Ökonomie bekommen werden.  Alle, die bereit sind Neues zu lernen oder sich mit neuen Ideen am Markt beteiligen, können erfolgreich sein. Inzwischen sind allein bei Ebay 10.000 digitale Tante-Emma-Läden entstanden, Power-Seller genannt. Wer computergestütztes Design einsetzt, kann in Asien produzieren (File-to-Factory) und im Internet über Ebay global vertreiben, ohne Kenntnisse des Managements und des Marketings zu besitzen.
Betroffen werden aber gar nicht die Älteren, da diese besser abgesichert sind, als alle anderen in unserer Gesellschaft. Die Herausforderung liegt in der Generation Y oder auch Sandwich-Generation genannt. Sie müssen für sich selbst, ihre Kinder und neuerdings auch für die Eltern und Schwiegereltern wirtschaftliche Verantwortung übernehmen. Familien mit Kindern gehören heute schon zu den sozialen Absteigern, während die Neuen Alten und die Singles die Gewinner sind.


Die Gegenwart: Welche Kompetenzen sind erforderlich, um in den Schwärmen „mitschwimmen“ zu können?

Wippermann: Technologisches Infrastruktur, totale Kundenorientierung als Organisationsprinzip, vor allem aber, die Weitsicht Macht an die vernetzten Konsumenten abgeben zu können.


Die Gegenwart: Wo lassen sich heute schon Tendenzen der Schwarmbildung erkennen?

Wippermann: Bei “Google” wird die Verlinkung der Homepages aller Internetnutzer zum Orientierungsgeber des Rankings von Informationen, hier ist Schwarm-Intelligenz das Business Modell.
Die Demonstrationen gegen den beginnenden Irak-Krieg waren die ersten politischen Smart-Mobs, die über Handy und Internet organisiert. Politik ohne Parteien, Politiker und Organisationen wurde Realität.
Im Marketing setzt der Mobilfunkanbieter O2 die Flash-Mob-Strategie ein, um Kunden zu Events einzuladen. Peer-to-Peer Marketing schafft Aufmerksamkeit, die Massenmedien nicht mehr erreichen.

 
Die Gegenwart: Wie und wo wird das Potenzial von Schwarmbildung schon heute wirtschaftlich genutzt?

Wippermann: Das Textilunternehmen Inditex hat mit der Marke Zara das Prinzip der Globalisierung auf den Kopf gestellt. Zeit ist wichtiger geworden, als die Kosten der Produktion. Die Leistung des Unternehmens besteht in der täglichen Sichtung globaler Verkaufs
daten aus 2.300 Läden in der spanischen Zentrale. Die Lieferzeiten neuer Modeartikel wurde von der Produktion bis zur Auslieferung auf drei Tage verkürzt. 200.000 Kleinauflagen erreichen die Läden im zweiwöchentlichen Rhythmus, jährlich. Zwar werden Longseller in China produziert, aber Hauptproduktion ist in Spanien und Portugal verblieben. Kundennähe wurde globalisiert, die Zeit zum Wettbewerbsfaktor.
 
Die Gegenwart: Ist schon heute erkennbar, wem die Voraussetzungen der Teilnahme am Schwarm in Zukunft fehlen werden?

Wippermann: Alle Eliten, die Kreativität und Ideenfindung mit Problemlösung, Koordination und Entscheidungsfindung verwechseln. Schwarm-Intelligenz kann keine Innovationen bieten. Erfindungen sind individuelle Prozesse, aber alle anderen Organisationsprinzipien können über Schwarm-Intelligenz effizienter organisiert werden. Voraussetzung ist, dass der Schwarm viele Mitglieder ausmacht und Zugang zum globalen Netz hat.
 

Die Gegenwart: Auch Schwarmbildung birgt ein Demokratisierungs-versprechen. Alle entscheiden von unten – aber ist das wirklich so? Birgt Schwarmbildung nicht auch Gefahren für die demokratische Gesellschaft?

Wippermann: Schwarm-Intelligenz wird zum Organisationsprinzip einer Gesellschaft auf digitaler Gegenseitigkeit. Offenheit, Transparenz und das Sharing-Prinzip werden die Voraussetzungen sein.
Schwarm-Intelligenz als Organisationsprinzip ist neutral. Es kann wie ein Messer zum Guten oder Bösen eingesetzt werden. Terrornetzwerke haben die Kraft der Schwarm-Intelligenz genauso erkannt, wie Unternehmen, Konsumenten und Bürger.


Die Gegenwart: Was wird aus jenen, die keinen Zugang zu den erforderlichen Technologien besitzen oder kein Interesse haben, in den Schwärmen mitzuschwimmen? Eine eigene Zielgruppe?

Wippermann: Wer nicht angeschlossen ist, wird ausgeschlossen. Aber letztlich wird keiner mehr ohne Internetfähigkeit leben können. In den Karten der Fußball-Weltmeisterschaft sind bereits RFID-Chips integriert, die Auskunft über den Kartenkäufer geben und die jederzeit den globalen Aufenthaltsort der Karte angeben können. Diese Netzwerkfähigkeit wird durch RFID und GPS (das globale Ortungssystem) gewährleistet. Ab nächstem Jahr werden unsere Reisepässe und Personalausweise und die neue zentrale Gesundheitskarte gleiche Fähigkeiten in sich tragen. Auch wenn es noch zehn Jahre dauern wird, bis jeder Joghurt internetfähig sein wird, werden wir außerhalb der  Medien- oder Wissensgesellschaft nur als radikale Fundamentalisten überleben können.
 
Die Gegenwart: Wie wird man diese Zielgruppe ansprechen?

Wippermann: Man wird sie ungefragt orten und einbeziehen. Die Videoüberwachung in Bussen, in Häusern und auf Strassen ist bereits Realität. Das gesellschaftlich akzeptierte Sicherheitsdenken ist stärker als der individuelle Anspruch auf Privatsphäre.
 
Die Gegenwart: Wie sehen Gegenmodelle zur Schwarmbildung aus?

Wippermann: Alle Retro-Utopien, die eine Abschaffung aller interaktiver Netzwerke fordern, könnten ein Gegenmodell sein.



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