Einführung in Moralisches Handeln

TEXT: GRETA TAUBERT
BILD: PHOTOCASE.DE




Grundlagen

Sie sind Journalist und arbeiten für eines der größten Automagazine Deutschlands. Die Zeitschrift wird monatlich von rund einer Million Autofahrern gekauft. Doch gelesen wird Ihr Artikel noch viel öfter: im Fitnesscenter, im Warteraum des Zahnarztes, im Café, im Internet. Was Sie zu sagen haben, wird gelesen – und geglaubt.


Praxisexkurs


Die Bayrischen Motorwerke München haben eine neue Limousine entwickelt. Zur Presse-Präsentation erhalten Sie eine Einladung nach Cágliari auf Sardinien. Flug und Übernachtung inklusive. Nach einem ausgedehnten Buffet mit mediterranen Spezialitäten führt man Sie an die Hafenmole, wo 42 Limousinen in der Sonne glänzen. Man drückt Ihnen einen Schlüssel in die Hand, Sie gehen zu dem silbergrauen Modell mit hellen Ledersesseln. Die Tür klappt mit einem leisen „Flopp“ ins Schloss, das kraftvolle Motorengeräusch durchbricht die Brandung der Hafenmole, und schon gleiten Sie auf den Küstenstraßen des Mittelmeers dahin.


Problemstellung


Angekommen in der heimatlichen Redaktion erwarten Ihre Leser einen objektiven Artikel über Stärken und Schwächen des getesteten Wagens. Familienfreundlich? Benzinsparend? Übersichtlich? Eigentlich war er das nicht. Aber für Ihren Kurztrip am Mittelmeer war er ideal. Nur können Sie das nicht schreiben. Sie befinden sich in einem Interessenskonflikt: Wenn Sie die Nachteile des Fahrzeugs zu sehr herausstellen, bekommt die Einladung das nächste Mal der nervige Kollege zwei Zimmer weiter. Schreiben Sie allerdings allzu geschönt, kommen Sie nicht mehr der journalistischen Sorgfaltspflicht nach.

Wie schaffen Sie es aus diesem Dilemma wieder heraus?


Lösungen


Der Pressekodex des Deutschen Presserates empfiehlt: „Schon der Anschein, die Entscheidungsfreiheit von Verlag und Redaktion könne durch Gewährung von Einladungen oder Geschenken beeinträchtigt werden, ist zu vermeiden.“

Doch die Einladung lag auf dem Schreibtisch, das Ticket daneben. „Es ist nicht  verwerflich, wenn Journalisten die Reisekosten erstattet werden“, meint Hendrik Zörner vom Deutschen Journalistenverband. Nur dürfe die Kritikfähigkeit dadurch nicht gemindert werden. Dass der Artikel über die Testfahrt nicht genauso prickelnd süß schmeckt, wie der Champagner nach der Präsentation, dafür würden schon die Journalistenkollegen sorgen, weiß Zörner: „Es herrscht ein starker sozialer Druck. Da schauen sich die Journalisten schon sehr genau gegenseitig auf die Finger.“

Auch auf Seiten der Öffentlichkeitsarbeit gibt man sich verantwortungs-bewusst und warnt vor dem so genannten Champagnerjournalismus. In seinen „Richtlinien für den Umgang mit Journalisten“ äußert sich der Deutsche Rat für Public Relation (DRPR) auch über Einladungen von PR-Abteilungen an Journalisten: „Pressereisen und besondere Veranstaltungen müssen in einem nachvollziehbaren Verhältnis zum Informationsanlass stehen … Sie dürfen nicht an die ausdrückliche Erwartung eines positiven Berichtes geknüpft werden.“ Außerdem sollten die Reisekosten nur dann erstattet werden, wenn der Arbeitgeber diese nicht übernimmt und der Eingeladene auf eine „allseits unangefochtene Praxis im jeweiligen Presseberufsstand“ verweisen kann.

Wenn auf dem Schreibtisch von Dr. Peter Busch eine Einladung wie in unserem Beispiel landen würde, wäre der Journalist „prinzipiell misstrauisch“. Busch ist Redakteur beim ZDF und lehrt an der Universität Leipzig Journalistik. Zwar sei er keine Autojournalist, aber wenn ihn dennoch eine solche Offerte erreichen sollte, gäbe es für ihn drei Möglichkeiten: 1. Den Arbeitgeber fragen, ob der die Reisekosten nicht übernehmen könnte, 2. den Autohersteller fragen, ob man die Probefahrt auch in Deutschland machen könnte, 3. ein schönes Wochenende in Sardinien verleben und nicht darüber schreiben.

„Als Journalist befindet man sich in einem ständigen Dilemma: wie gut oder böse darf ich über jemanden schreiben – diesen Zwiespalt muss man immer wieder mit sich ausmachen.“


Fazit


Der schaumige PR-Champus, der nur all zu gern an Journalisten eingeschenkt wird, kann einen säuerlichen Nachgeschmack im Gewissen haben. Wer ihn sich dennoch nicht entgehen lassen will, muss Schwindel-resistent sein!

 

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AUSGABE 34
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