KULTURKRITIK

Lass ihn raus, den Tiger


TEXT: KAI HALLER
BILD: AMAZON



"...und zeig ihnen, dass du es kannst." Dieser Slogan ist seit Jahren hinlänglich bekannt. Der Fernsehzuschauer konnte den Kellogg's-Tiger bewundern, der mit Eleganz, Kraft und ohne viele Worte den anderen zeigte, wo es langgeht.

Das war einmal. Heute streift ein anderer Tiger durch die Medienlandschaft. Es kann darüber gestritten werden, ob dieser Tiger Eleganz ausstrahlt. Wortkarg ist er nicht. Wo es langgeht, weiß er nur zu gut. Die Rede ist von Stefan Effenberg.

Als ihn Berti Vogts bei der Weltmeisterschaft 1994 in Amerika aus der deutschen Fußballnationalmannschaft geworfen hat, weil er sich nach einem Spiel unsportlich verhalten und dem Publikum den Mittelfinger gezeigt hatte, ahnte noch keiner, das dieser exzentrische Fußballer ein gutes Jahrzehnt später seine Memoiren mit einer Erstauflage von 250.000 Exemplaren veröffentlichen würde. Bild sei dank!

Natürlich erscheint sein Buch "Ich hab's allen gezeigt" beim renommierten Berliner Aufbau Verlag, der ansonsten eher "gehobene" Literatur veröffentlicht. Bertolt Brecht und andere Schriftstellergrößen haben hier ebenfalls ihre Bücher veröffentlichen dürfen.
Aber das nur nebenbei. „Freunde der Sonne“, ehrlich gesagt, glaube ich nicht, dass sich das literarische Erbe Brechts und die Memoiren des Stefan Effenberg in ihrer Wichtigkeit unterscheiden. Bei anhaltender Wirtschaftskrise und der großen Konkurrenz auf dem Büchermarkt bleibt es eben nicht aus, "Effe" und sein geistiges Eigentum mit in die Familie aufzunehmen. Schon gar nicht, wenn allgemein bekannt ist, welches Boulevardblatt die Rechte an den Vorabdrucken der Effenbergschen Memoiren hält, und vor allem, wie boulevardfähig die Person Stefan Effenberg selbst ist. Und klingt es da nicht schon wie eine kleine Rechtfertigung, wenn der Verleger Bernd Lunkewitz erklärt: "Wir machen Bücher, wirklich vom Boulevard bis hin zur sehr gehobenen Literatur, und wir schämen uns des Boulevards nicht".

Stefan Effenberg. Sein Name ist Programm und Marke zugleich. Während seiner nun schon 15-jährigen Fußballerkarriere profitierte Effenberg unter anderem von den Schlagzeilen der Bild (auch, wenn er die Boulevardpresse oftmals harsch angegriffen hat) und die Bild von ihm. Seine Begabung liegt darin, seine Person medienwirksam einzusetzen - sei es zu Zeiten bei Borussia Mönchengladbach, als er sich einen Tigerkopf (daher der Spitzname "Tiger") auf den Hinterkopf färben ließ oder als er sich in einem Playboy-Interview für die Kürzung der Arbeitslosenhilfe aussprach. Als einer der Topverdiener in der Bundesliga waren ihm aufgrund letzterer Aussage etliche Schlagzeilen in der Presse sicher. Publicity ist Publicity, ob negativ oder positiv ist da ganz egal.

So machte sich auch der VfL Wolfsburg das starke Medieninteresse an Stefan Effenberg zu Nutze und stattete den im Fußballrentenalter angekommenen Altherren mit einem üppigen Jahresvertrag aus. Der Verein war plötzlich dank seiner neuen Nummer 10 in den Schlagzeilen. Das es sportlich nicht für das angestrebte Ziel UEFA-Cup reichte, störte in Wolfsburg niemanden, schließlich bezifferte man selbst den Werbewert Effenbergs für den Verein auf rund 20 Millionen Euro. Und so viel verdient ja noch nicht mal der FC Bayern, wenn er die Champions League gewinnt.

Publicity ist eben Publicity, da kümmerte es auch keinen der Verantwortlichen aus der VW-Vorstandsetage, das Herr Effenberg noch schneller wieder verschwand, als er gekommen war. Letztendlich profitierte man sogar noch von seinem Abgang. Bild wusste nämlich, warum Effenberg hingeschmissen hatte: Der neue VfL Coach Jürgen Röber bezichtigte ihn des Übergewichts. Somit hatten die Medien eine Story, und "Effe", Trainer Röber und der VfL Wolfsburg (VW) teilten sich die Schlagzeilen.
Die Fußballer würden sagen: „Hip Hip Hurra.“

Stefan Effenberg, der schon mal ganz gerne seine Lebensphilosophie in dem Magazin Gentlemen's World, kurz GQ, preis gibt und meint "egal, in welcher Situation Du Dich befindest, sei immer überzeugt von Dir", ist neben Dieter Bohlen und Verona Feldbusch ein weiteres Phänomen der Boulevardpresse unserer Zeit. Er bezeichnet seinen gegenwärtigen Geisteszustand als "perfekt" und nennt Valentino als seinen Lieblingsmodedesigner. Champagner und Zigarre sind seine geheimen Leidenschaften, aber hat dieser Mann das Prädikat Bestsellerautor verdient, wenn er in einem Interview verlauten lässt, als einziges Buch der Weltliteratur Hitlers Tagbücher gelesen zu haben?



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AUSGABE 32
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