KÖPFE DER GEGENWART

Der Gründer geht
 

TEXT: BJÖRN BRÜCKERHOFF
BILD: FTD

Andrew Gowers, der Gründer der Financial Times Deutschland und ihr erster Chefredakteur, ist jetzt auch erfolgreicher Absolvent der größten Bewährungsprobe der deutschen Zeitungsgeschichte. Die Mediengruppe Pearson belohnt den Briten für seinen kontinentalen Vorstoß im Wirtschaftsjournalismus und befördert ihn zum Nachfolger von Richard Lambert, dem langjährigen Chefredakteur der Financial Times in London. Gowers bleibt gleichzeitig Herausgeber des deutschen Ablegers der FT.

Auch gut für Gowers Ego: als Nachfolger des britischen Top-Journalisten werden gleich zwei erfahrene Federn ins Feld geschickt. Ab September sollen die bisherigen Vizechefs des Blattes, Christoph Keese und Wolfgang Münchau, Chefredakteure werden. Gowers Vorgänger in London soll Gerüchten zufolge in einen einflussreichen Job in der neuen Regierung von Tony Blair wechseln.

Gowers wird mit der Beförderung in eine absolute Top-Positionen im Wirtschafts- und Finanzjournalismus katapultiert. Denn neben dem einflussreichen New Yorker Wall Street Journal gilt die Londoner FT als weltweit wichtigste englischsprachige Tageszeitung für Wirtschaftsinformationen.

Am 21. Februar 2000 erschien die FTD erstmals. Die Anteilseigner Gruner + Jahr (Bertelsmann) und die FT Group (Pearson) wollten in einem Zeitraum von vier bis fünf Jahren schwarze Zahlen schreiben - das bedeutet 100.000 bis 120.000 verkaufte Exemplare täglich. Laut IVW lag diese im ersten Quartal 2001 bei 70.248 Exemplaren, davon etwa die Hälfte im Abo.

Björn Brückerhoff e-mailte mit Andrew Gowers über seine Zeit bei der FTD und das Verhältnis von Print- und Online-Journalismus.

Brückerhoff: Herr Gowers, die Gründung der Financial Times Deutschland war sicher kein kleines Vorhaben - wieso haben Sie sich das zugetraut?

Andrew Gowers: Eine neue Tageszeitung zu konzipieren und zu etablieren, ist wohl für jeden Journalisten eine der größten und spannendsten Herausforderungen. Diese habe ich gern angenommen. Beim Aufbau einer börsentäglichen Wirtschaftszeitung kam mir meine Erfahrung bei der Londoner Financial Times zugute, die ich zuvor bereits kommissarisch als Chefredakteur geleitet hatte. Das Ergebnis gibt mir Recht: wir haben mit der FTD ein tolles Produkt auf die Beine gestellt, auf das ich sehr stolz bin.

Brückerhoff: Wen würden Sie in erster Linie als Zielgruppe der FTD sehen?

Andrew Gowers: Die Financial Times Deutschland schreibt für jeden, der etwas bewegt - ob das der Vorstandsvorsitzende, der Mittelständler, Minister oder Abgeordnete ist, der Fondsmanager oder Privatanleger. Sie alle brauchen schnelle und verlässliche Wirtschafts- und Finanzinformationen. Allein in Deutschland gibt es laut LAE 97 rund 1,9 Millionen Top-Entscheider, zahlreiche zukünftige Führungskräfte und solche der zweiten und dritten Führungsebene. Dazu kommen die vielen Privatanleger - rund acht Prozent der Deutschen besitzen mittlerweile Aktien! Für genau diese Zielgruppen machen wir unsere Zeitung.

Brückerhoff: Und wo verkauft sich die FTD am besten?

Andrew Gowers: Besonders erfreulich ist der kontinuierlich wachsende Abonnentenstamm der FTD. So erhöhte sich die Zahl der Abonnenten im ersten IVW-Quartal 2001 mit 34.284 Lesern um 11 Prozent gegenüber dem vierten Quartal 2000. Das zeigt, dass sich die FTD als feste Größe bei den Lesern etabliert hat.

Brückerhoff: Wie lange hat es gedauert, bis die FTD akzeptiert wurde? Wie haben Sie nachgeholfen?

Andrew Gowers: Der Launch der FTD wurde mit großer Spannung und zum Teil auch kritisch beobachtet, denn ein festgefügtes Zeitungssegment zu erweitern ist eine sehr anspruchsvolle Aufgabe, die ihre Zeit dauert. Dennoch hat die FTD hat mit ihrem Konzept der selektiven und pointierten Berichterstattung von Beginn an eine attraktive Leserschaft gefunden und sogar neue Leser an die Zeitung herangeführt. So konnte sie bereits zur ersten IVW-Meldung im Herbst 2000 einen festen Abonnentenstamm vorweisen. Wir haben den Start der FTD natürlich mit den klassischen Marketing- und PR-Instrumenten unterstützt. Und wir haben gezeigt, dass wir ein gutes Produkt machen - als Zeitung, aber auch im Internet oder als Audioservice.

Brückerhoff: Sie wollen klare, kurze Texte für Entscheider, die wenig Zeit haben. Kommen Hintergrundinformationen dabei nicht zu kurz?

Andrew Gowers: Das journalistische Motto der FTD "Auswahl und Urteil" heißt nicht, dass in der FTD Hintergrundinformationen zu kurz kommen. Die FTD konzentriert sich auf relevante, das heißt, die wichtigen Themen des Tages. Diese vertiefen wir natürlich auch durch Hintergrundinformationen, wie zum Beispiel auf unserer Themaseite oder jüngst mit Sonderseiten zur EU-Verfassung.

Brückerhoff: Warum sollen Hintergrundberichte besonders in der Online-Ausgabe der FTD geliefert werden? Ist das Internet nicht gerade das Medium, in dem es sich lohnt, kurz und knapp zu schreiben, um der Leserschaft viereckige Augen zu ersparen?

Andrew Gowers: Das Online-Angebot aktualisiert zum einen Meldungen auch nach Redaktionsschluss. Zum anderen ist es ein hervorragendes Medium, um zusätzliche, vertiefende Informationen auch anderer Medien zu bündeln. So bieten wir in unseren Web-Dossiers fundierte Quellenrecherche und Analyse. Der Nutzer hat so einen schnellen Überblick und Zugriff auf die Themen, die ihn interessieren, braucht also nicht stundenlang durchs Web zu surfen, um die Infos zu suchen. Das macht FTD.de für ihn. Damit sorgen wir dafür, dass die Nutzer sich nicht länger als nötig am Bildschirm aufhalten müssen.

Brückerhoff: Ihre Zeitung hat sich vorgenommen, immer davon zu berichten, wenn das Management eines Unternehmens Fehler gemacht habe - gilt dies auch für Ihre Muttergesellschaften?

Andrew Gowers: Kritischer, investigativer und unabhängiger Journalismus - dieses Credo gilt für die Financial Times Deutschland uneingeschränkt.

Brückerhoff: Sie sagten, Sie wollten "jeden Tag eine Geschichte im Blatt haben, die jemand lieber nicht lesen würde." Wie viele dieser Geschichten über die FTD haben Sie bisher in anderen Zeitungen gelesen?

Andrew Gowers: Als ambitionierter Marktneuling und erste Zeitungsneugründung seit Jahrzehnten hat die FTD den Markt ziemlich aufgewirbelt. Dadurch standen wir von Anfang an im Fokus der Medien, insbesondere der Mitbewerber. Kritische Berichte, die inzwischen übrigens deutlich abgenommen haben, gehören zum Wettbewerb und zeigen, dass die FTD ernst genommen wird.

Brückerhoff: Wie sehen Sie die Zukunft des Journalismus? Liegt sie im Online-Bereich? Oder gar in der Kombination beider Welten, die sie bereits heute betreiben?

Andrew Gowers: Die Zukunft des Journalismus liegt in der intelligenten Generierung, Selektion und Aufbereitung von Informationen und in der schnellen Verbreitung durch das jeweils am besten geeignete Medium. Also in einer Kombination von Print- und digitalen Inhalten.

Brückerhoff: Wie wird es - Ihrer Meinung nach - um den klassischen Zeitungs-Journalismus in der Zukunft bestellt sein?

Andrew Gowers: Er wird um die digitale Komponente ergänzt, er wird insgesamt schneller und personalisierter werden, aber nicht durch Online ersetzt.

Brückerhoff: Wie wurden Sie Journalist? Haben Sie sich schon immer für das journalistische Fach interessiert?

Andrew Gowers: Ich habe nach meinem Studium, den wohl denkbar besten Start ins Geschäft mit der Nachricht gehabt - bei der Nachrichtenagentur Reuters in London. Das bedeutet Schnelligkeit, Recherche, präzise und pointierte Schreibe. Damit ist man fürs Zeitungsgeschäft bestens gerüstet.

Brückerhoff: Was raten Sie jungen Leuten, die heute Ihre journalistische Laufbahn beginnen wollen?

Andrew Gowers: Just do it!

Brückerhoff: Was ist Ihre tägliche Herausforderung als Chefredakteur?

Andrew Gowers: Gemeinsam mit dem Team jeden Tag die besten Geschichten ins Blatt zu holen.

Brückerhoff: Warum ist Ihr Job ein Traumjob?

Andrew Gowers: Weil die Realität viel spannender ist als jeder Traum!

Brückerhoff: Was ist für einen Chefredakteur besonders wichtig?

Andrew Gowers: Auswahl und Urteil.

Brückerhoff: Angenommen, jemand schenkt Ihnen eine Woche Zeit. Was machen Sie?

Andrew Gowers: Ich widme sie meiner Familie

Brückerhoff: Und in zehn Jahren?

Andrew Gowers: Werde ich hoffentlich immer noch jeden Tag etwas lernen und jeden Tag eine neue Herausforderung bestehen!


 





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